NEWS

Bierstreit wirft dunkle Schatten auf den Beerfeldener >Gailsmarkt<

Magistrat der neuen Stadt Oberzent hebelt einen Parlamentsbeschluss aus dem Jahr 2006 aus, wonach es in der Prof-Walter-Hofmann-Halle ausschließlich Beerfelder Bier geben soll

BEERFELDEN. - Unter dem Motto >Menschen, Tiere, Traditionen< veranstaltete die Stadt Beerfelden mehr als ein Jahrhundert und veranstaltet nach der Fusion zu Jahresbeginn 2018 auch die neue Stadt Oberzent den Beerfeldener Pferdemarkt, im Volksmund den >Gailsmarkt<.

Doch insbesondere mit den Traditionen nimmt es der Magistrat der neuen Stadt wohl nicht so ganz ernst. Im ersten Jahr nach der Fusion zum 1. Januar 2018 hob der Magistrat der Stadt Oberzent unter der Leitung von Bürgermeister Christian Kehrer einen Beschluss der Beerfeldener Stadtverordnetenversammlung aus dem Jahr 2006 auf, wonach es in der zentralen Veranstaltungshalle zum Pferdemarkt, der Professor-Walter-Hofmann-Halle, ausschließlich Beerfelder Bier aus der Brauerei Schmucker in Beerfelden geben soll.

Festwirt darf „regionales Bier“ ausschenken

Dem Festwirt Alfred Groll (Michelstadt) wurde damit freigestellt, welches „regionale Bier“ er dort ausschenken möchte. Und Groll hat sich für den Gerstensaft aus dem benachbarten Mossautal, sprich dem „falschen“ Schmucker-Bier entschieden.

Während die Macher der >OX<, einer Ausstellergemeinschaft aus Unternehmen in der Oberzent, zum Pferdemarkt in der Oberzentturnhalle gemeinsam „auf spannende Weise und in modernem Ambiente die Möglichkeiten der Oberzent aufzeigen, mit dem Gedanken des >Open eXchange<, dem offenen Austausch und dem gemeinsamen Miteinander, zu mehr Kontakt innerhalb der Region anregen wollen“, sehen Kritiker dieses Bemühen durch den Magistratsbeschluss zu „fremdem“ Bier torpediert.

Sie verweisen auf eine absolut analoge Situation in der Kreisstadt Erbach, wo beim Wiesenmarkt nahezu ausschließlich Bier der Marke „Erbacher“ bzw. des Mutterkonzerns Radeberger ausgeschenkt wird.

Vertrag regelte, dass nur Beerfelder Schmucker-Bier ausgeschenkt wird

Bürgermeister Christian Kehrer äußerte sich dazu auf FACT-Anfrage: „Der 1968 mit der ortsansässigen Familie Schmucker geschlossene Vertrag der Stadt Beerfelden ist abgelaufen.“

Diesem Vertrag zufolge wurde im Gegenzug zum Verkauf des Striet-Marktgeländes durch die Familie Schmucker an die Stadt vereinbart, dass für eine bestimmte Laufzeit auf dem gesamten Strietgelände (bis 2003) und auf dem Marktgelände ausschließlich Beerfelder Schmucker-Bier ausgeschenkt wird.

FACT-Recherchen zufolge ist diese Laufzeit für das Marktgelände in der Tat unstrittig im Jahr 2004 ausgelaufen.

Magistrat hebt Parlamentsbeschluss aus dem Jahr 2006 auf

Ebenso unstrittig aber existiert ein Beschluss der Beerfeldener Stadtverordnetenversammlung aus dem Jahr 2006, wonach bestimmt wurde, dass in der zentralen Veranstaltungshalle zum Pferdemarkt, der Professor-Walter-Hofmann-Halle, im Jahr 2006 ausschließlich Beerfelder Bier auszuschenken ist.

Der Beschlussformulierung des Parlaments zufolge „gilt die Vereinbarung für ein Jahr, d. h. für das Jahr 2006. Sollte diese Regelung in 2006 zur Zufriedenheit verlaufen, kann der Magistrat ab dem Jahr 2007 über eine Verlängerung beschließen“, heißt es dazu.

Entsprechend geschah dies von 2007 bis einschließlich 2018. Im ersten Jahr nach der Fusion der vier Oberzent-Kommunen und dem ersten Amtsjahr unter dem neuen Bürgermeister Kehrer gibt es nunmehr eine solche Verlängerung nicht mehr.

Bürgermeister für „freie Marktwirtschaft und Entscheidungsfreiheit des Festwirts“

Nach den Gründen für diese Änderung befragt, äußerte Kehrer lapidar, man wolle „eine freie Marktwirtschaft und der Entscheidungsfreiheit des Festwirts nicht im Wege stehen“. Weitere Gründe wollte, oder konnte, Kehrer auf FACT-Nachfrage nicht anführen.

Auch der Hinweis auf die strengen ortsbezogenen Biergepflogenheiten in der Nachbarschaft Erbach, Michelstadt, Eberbach und Miltenberg, sowie der Großstädte München und Stuttgart wollte der Bürgermeister nicht gelten lassen. Seine zaghafte Begründung lautete vielmehr: „Es soll für jeden Biergeschmack etwas dabei sein beim Pferdemarkt 2019“.

Verwaltungsjuristen sehen Magistratsbeschluss rechtswidrig

Namhafte Verwaltungsjuristen und Kommentatoren der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) sehen indes den Magistratsbeschluss angesichts der Formulierung „der Magistrat kann den Vertrag verlängern“ als unwirksam, weil die Entscheidungsfindung im Falle einer Nichtverlängerung an das Parlament hätte zurückgegeben werden müssen.

Bürgermeister Kehrer äußerte sich dazu: „Die Stadtverordneten haben die Magistratsentscheidung nach meiner Mitteilung am 05.02.2019 ohne Murren zur Kenntnis genommen“. Mehrere dazu von FACT befragte Stadtverordnete unterschiedlicher Parteizugehörigkeit können sich an eine solche Mitteilung allerdings nicht erinnern.

Freunde des Beerfelder Bieres sammeln Unterschriften

Zwischenzeitlich werden in der Stadt Beerfelden wie der gesamten Oberzent von Bierfreunden aus Beerfelden und des Pferdemarktes Unterschriften gesammelt für den Ausschank von „Beerfelder Bier“ in der Professor-Walter-Hofmann-Halle zum >Beerfelder Gailsmarkt<.