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Nicht nur 1 Quadratmeter Stoff

Muslima mit Kopftuch haben mit Diskriminierungen zu kämpfen – das zeigte eine Diskussionsveranstaltung in der Stadthalle Groß-Umstadt

ODENWALD. - Die Gespräche sind so rege, dass sie auch noch geraume Zeit nach dem Veranstaltungsende weitergehen. „Nur ein Quadratmeter Stoff? – Reizthema Kopftuch“, dazu hatten das Evangelische Dekanat Vorderer Odenwald, Fatih Camii Dieburg, die Koordinationsstelle Migration, Flucht & Asyl Groß-Umstadt und das ZIBB – Zentrum Information, Beratung, Bildung – Frauen für Frauen e.V. Groß-Umstadt, in die Stadthalle Groß-Umstadt eingeladen.

Die Organisationen wollten eine gemeinsame Veranstaltung zum Leben mit Verschiedenheit machen, sagte Margit Binz, Pfarrerin für Ökumene und interreligiösen Dialog im Evangelischen Dekanat Vorderer Odenwald, in ihrer Begrüßung, und das Kopftuch sei ein „sichtbares Zeichen von Verschiedenheit“.

Der Diskussionsanstoß war ein Vortrag über „Berufliche Diskriminierungserfahrungen
kopftuchtragender Muslima“ von Professor Dr. Regina Maria Dackweiler von der Hochschule Rhein-Main.

Sie stellte die Ergebnisse eines Forschungsprojektes vor, in dem es um die berufliche Integration von Frauen ging, die Kopftuch tragen. Die Ergebnisse des Forschungsprojektes, das sich mit Berufsfeldern in der sozialen Arbeit befasste, zeigen: Muslima mit Kopftuch haben es schwer, eine Stelle zu finden, schwerer als Muslima ohne Kopftuch.

38 Prozent der befragten sozialen Einrichtungen würden keine Muslima mit Kopftuch einstellen, 78 Prozent hätten das auch in den vergangenen fünf Jahren nicht getan.

Damit – so Professor Dackweiler – würden Grundrechte verletzt, die im Grundgesetz, der Menschenrechtsdeklaration und dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz verankert sind, dass nämlich niemand aufgrund von Geschlecht, Herkunft, religiöser Überzeugung benachteiligt werden darf.

Über 90 Prozent der befragten Frauen sagten, sie trügen das Kopftuch aus religiösen Gründen. Dennoch werde als Grund für die Nicht-Einstellung meist der politische Islam genannt. Auf dem Hintergrund einer gegenwärtigen Islamfeindlichkeit hätten Muslima mit Vorurteilen und Ablehnung zu kämpfen.

Die eigenen Bilder hinterfragen

Welche Bilder haben wir im Kopf? Was spricht dafür oder dagegen, eine Fachkraft, die Kopftuch trägt, einzustellen? Damit begann der Einstieg in die von Cornelia Spohn moderierte Gruppendiskussion. Sie ist Supervisorin und Coach, versiert in interkulturellen Prozessen und lebte fünf Jahre in Istanbul.

„Für mich ist immer die Frage: Wer steht mir gegenüber?“, sagte Spohn. Es gebe viele Gründe ein Kopftuch zu tragen, neben religiösen Gründen fühlten sich manche vom Kopftuch auch geschützt und im Familienverbund akzeptiert. Es sei einfacher, „wenn wir das Kopftuchtragen entideologisieren“ und genau hinschauten.

Doch das geht nicht immer so einfach. Ein Ehepaar, das mehrere Flüchtlingsfamilien betreut, zeigte sich schockiert darüber, dass plötzlich kleine Mädchen Kopftuch trügen. Eine Frau fand, Religionszugehörigkeit gehöre in den Privatbereich und habe im beruflichen Leben nicht sichtbar zu sein.

Eine andere Frau berichtete, dass sie in Deutschland aufgewachsen und hier zur Schule gegangen sei. Sie arbeite auf der Intensivstation im Kreiskrankenhaus Groß-Umstadt. Seit sie im Jahr 2011 die Pilgerfahrt gemacht habe, trage sie Kopftuch.

„Es war sehr, sehr schwer, denn vorher bin ich nicht als Migrantin angesehen worden.“ Eine 18-jährige Muslima, die kein Kopftuch trägt, erzählte, sie habe vor kurzem mit einem dualen Studium der Betriebswirtschaftslehre begonnen und hätte den Studienplatz mit Kopftuch vielleicht nicht bekommen. „Das macht mich wirklich traurig“, sagte die junge Frau, „warum sind wir Menschen so oberflächlich?“