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Erbacher Marketingaffäre: FACT-Recherchen ergeben weitere Rückdatierungen

Der Erbacher Bürgermeister Harald Buschmann ist nach weiteren bekannt gewordenen Rückdatierungen in Erklärungsnot. Foto: © by -mk-

ÜWG- und SPD-Fraktionen im Erbacher Stadtparlament sind mit den vorliegenden Antworten des Bürgermeisters zur Geschäftsbeziehung der Stadt mit der Agentur Lebensform unzufrieden und haben weiteren umfangreichen Antwortbedarf + + + Bürgermeister Buschmann: „Können Fristsetzung für Antworten nicht entsprechen“

ERBACH. - Weiteren unangenehmen Fragen sieht sich aktuell Erbachs Bürgermeister Harald Buschmann in der bekannt gewordenen Marketingaffäre ausgesetzt. Keineswegs zufrieden mit den von ihm erteilten Antworten auf ihre Anfrage zur Geschäftsbeziehung der Stadtverwaltung Erbach mit der Erbacher Agentur Lebensform GmbH sind nämlich die beiden Fraktionen SPD und ÜWG im Stadtparlament der Odenwälder Kreisstadt.

Während der Rathauschef die ursprüngliche Anfrage vom Dezember innerhalb einer Woche beantwortet hatte (siehe FACT-Bericht unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/odenwaldkreis/details/?tx_ttnews), erteilte er aktuell jedoch der geforderten Beantwortung einer Nachfrage vom 8. Februar bis Freitag, 23. Februar, ebenso eine Absage, wie der Beantwortung einer eiligen Presseanfrage der FACT-Redaktion zur gleichen Thematik.

„Werden der geforderten Fristsetzung nicht entsprechen können“

„Der geforderten Fristsetzung werden wir nicht entsprechen können, bitten auch hier um Verständnis, denn es ist einerseits ein zusätzlicher und erheblicher Verwaltungsaufwand und ist auch bei anderen Vorgängen nicht üblich.

Eine Zwischennachricht haben die Fraktionen bereits erhalten und werden auch über unsere Beantwortung Ihrer Anfrage in Kenntnis gesetzt“, beantwortete der Bürgermeister die entsprechende FACT-Anfrage.

Zur Begründung des Verzugs führt Buschmann aus: „Es sind sehr detaillierte Fragen, die bis in die unteren Ebenen der Vorgangsbearbeitung reichen und eine aufwendige Recherche erfordern.

Wir werden die Fragen der Fraktionen prüfen, die notwendigen Unterlagen sichten und entsprechende Erläuterungen dazu vorbereiten. Dies gilt auch für Ihre ergänzenden Fragen, die im Zusammenhang mit den Fragen der Fraktionen stehen.“

Weitere Rückdatierungen offiziell nicht bestätigt

Mit der jüngsten FACT-Anfrage hatte die Redaktion auch an eine bereits in der Pressekonferenz vom 02. Februar unbeantwortete Frage angeknüpft, ob jenseits der rückdatierten Auftragsscheine zum Wiesenmarkt 2017, insbesondere zur Erbacher Schlossweihnacht 2017, weitere schriftliche Aufträge an die Agentur Lebensform rückdatiert wurden.

In der Pressekonferenz konnte die Leiterin der zentralen Verwaltung in der Erbacher Stadtverwaltung, Sabine Krämer-Eis, diese Frage nicht beantworten und wollte dazu ihre Unterlagen bemühen, hatte jedoch bereits eingeräumt, dass es (Anm. der Redaktion: analog zum Wiesenmarkt) zeitlich „auch da knapp war“.

Auch die Angebote zum Wiesenmarkt 2017 wurden rückdatiert eingereicht

Zwischenzeitlich haben weitere FACT-Recherchen zu dem Ergebnis geführt, dass zumindest die an Lebensform erteilten schriftlichen Aufträge der Stadtverwaltung zur Erbacher Schlossweihnacht 2017 an die Firma Lebensform GmbH ebenfalls erst nach Auftragserledigung ausgestellt, rückdatiert und damit verfälscht worden waren.

Schlimmer noch: Intensive Recherchen offenbarten darüber hinaus das komplette Ausmaß der chaotischen Zustände in der Erbacher Stadtverwaltung, denn auch sämtliche schriftlichen Angebote der Firma Lebensform sind zumindest für den Teilbereich des Wiesenmarktes 2017 erst mehrere Wochen nach erfolgter Dienstleistung rückdatiert in der Verwaltung eingegangen.

Dort wurden sie dann im September mit einem um mehrere Monate bis April 2017, analog dem Zeitpunkt der Rückdatierung, zurückgedrehten Eingangsstempel versehen, und damit ebenso manipuliert, wie bei der bereits eingeräumten Rückdatierung der Auftragserteilung geschehen.

Zwei Fraktionen haben umfangreichen Aufklärungsbedarf

Diese jetzt bekannt gewordenen Fakten waren es wohl, die über die im Kübler-Prozess zum Jahresende 2017 hinaus offenbarte Verwicklung des Kreisstadt-Bürgermeisters in den Odenwälder Marketing-Sumpf, zu den umfangreichen Nachfragen der Sozialdemokraten und der Überparteilichen Wählergemeinschaft im Erbacher Stadtparlament geführt haben.

Das von den beiden Fraktionschefs Tobias Stock (ÜWG) und Gernot Schwinn (SPD) an Bürgermeister Harald Buschmann in der Stadtverwaltung Erbach gerichtete Schreiben hat folgenden Wortlaut:

> Bezugnehmend auf die gemeinsame Anfrage von SPD und ÜWG vom 14.12.2017 und der bis 19.01.2018 eingegangene Antworten zu dieser Anfrage haben wir, wie mit Schreiben vom 16.01.2018 mitgeteilt, einige Rückfragen zu diversen Punkten mit der Bitte um Bearbeitung/Beantwortung.

1. Nachforderung von Unterlagen

a) In den zur Verfügung gestellten Unterlagen fehlen die Unterlagen zu Rechnung Nr. 2017/404317 vom 22.09.17 der Fa. Lebensform (gesamter Vorgang).

b) Die Aufstellung der Aufträge endet mit dem 14.12.2017. Gibt es danach weitere Vorgänge, die das Jahr 2017 betreffen. Wenn ja, bitten wir um Vorlage der vollständigen Aufstellung und um Vorlage der aktuell nicht aufgeführten Vorgänge.

c) Wir bitten um Vorlage der Vergabe-Dienstanweisungen (aktuelle Version – ab 2015 – und Vorgängerversion). Die Dienstanweisungen sind für uns im RIM nicht aufrufbar.

d) Wir bitten um Vorlage der Übersichten der Aufträge (Quartalsübersichten?) des 1. bis 4. Quartals 2017.

Den Fraktionsvorsitzenden liegen nur die Übersichten bis zum 4. Quartal 2016 vor. Im RIM sind die Übersichten für uns nicht aufrufbar.

e) Angebotsanfragen mit Adressatenkreis wurde zu keinem der Aufträge vorgelegt (obwohl diese laut Antwortschreiben gegenüber Lebensform erfolgten – siehe Antwortschreiben vom 21.12.2017 Seite 3 Abs. 4). Wir bitten um Nachlieferung der Angebotsanfragen zu allen Vorgängen.

f) Nur zu 26 von 81 Vorgängen wurde ein Angebot der Fa. Lebensform vorgelegt. Wir bitten um Vorlage der fehlenden Angebote.

g) Nur in 21 von 81 Vorgängen wurde ein Auftrag der Stadt an Lebensform vorgelegt. Wir bitten um Vorlage der fehlenden Aufträge.

h) Es wurden die Unterlagen für den Kreditor 107718 vorgelegt. Gibt es für die Fa. Lebensform weitere Kreditoren (beispielsweise für Niederlassungen, verbundene Unternehmen etc.)? Wenn ja, bitten wir um Vorlage der entsprechenden Unterlagen für diese Kreditoren.

i) Die vorgelegte Liste enthält teilweise ausgeblendete Spalten (z.B. Spalte 3 „Belegnr.“). Zur Erhöhung der Aussagekraft bitten wir um Vorlage der Kreditorenauszüge für die Fa. Lebensform für die Jahre 2014 bis 2017 (jeweils 01.01. bis 31.12) aus der Kreditorenbuchhaltung, gerne in digitaler Form. (Bitte auch Punkt 1h entsprechend beachten).

j) Mit Schreiben vom 11.01.2018 wurden wir über die Selbstanzeige bei der Kommunalaufsicht vom gleichen Tage unterrichtet. Diesem Schreiben waren die Anlagen, die der Kommunalaufsicht vorgelegt wurden, nicht beigefügt. Die Anlage 3 „Liste der Bestellscheine Lebensform“ wurde uns wohl bereits mit Schreiben vom 09.01.2018 zur Verfügung gestellt. Wir bitten um Vorlage der fehlenden Anlage 2 „Bestellscheinliste“ und zwar für die Jahre 2014 bis 2017.

2. Fragen zu den vorgelegten Unterlagen

a) Unsere Fragen nach dem Vorliegen von Rahmenverträgen mit der Fa. Lebensform wurde verneint (siehe Antwortschreiben vom 21.12.2017 Seite 4 unten). Zum Besitz an den Rechten wurde ausgeführt, dass die Stadt mit dem Kauf die Nutzungsrechte an CD und Bildern erworben hat (siehe Antwortschreiben vom 21.12.2017 Seite 5 oben). Durch das Handbuch können auch Aufträge an andere Anbieter vergeben werden, was auch vorgesehen sei (siehe Antwortschreiben vom 21.12.2017 Seite 6 unten).

Wie stehen diese Aussagen zu folgenden Ausführungen: Angebot Lebensform zur Entwicklung CD (Grundlagenerarbeitung und Erstellung CD-Handbuch) vom 04.08.16 über 2.500 Euro (Netto): â€žDaher bindet das Angebot die Bedingung ein, dass ausschließlich im Einvernehmen mit der Agentur Lebensform eine andere Agentur das CD umsetzen darf.“?

Der Auftrag wurde am 18.08.16 gemäß Angebot erteilt. Die Rechnung vom 14.12.2016 am 20.12.2016 gebucht. Ist hierdurch faktisch eine Auftragsvergabe an Dritte auf Grundlage CD ausgeschlossen/ eingeschränkt?

b) Warum erfolgte die Auftragsvergabe für das Projekt „Wiesenmarkt 2017“ (Gesamtkosten rund 50.000 Euro) gestückelt? Die Dienstanweisung für freie Vergaben liegt ja deutlich darunter – Hätte hier bei diesen Gesamtkosten nicht ein Magistratsbeschluss erforderlich sein müssen?

c) Warum wurde die Entwicklung und Implementierung des Corporate Design (CD) und des Kommunikationskonzeptes ohne Magistratsbeschluss erstellt, obwohl es sich bei diesem nach Ihren eigenen Ausführungen um ein Gesamtpaket handelt und das damit verbundene Gesamtvolumen eine öffentliche Ausschreibung bedingt hätte? Wurde hier Vergaberechtskonform gehandelt?

d) Warum erfolgt eine Abrechnung seitens Lebensform immer pauschal und nicht nach Abrechnung nach Stunden, Material usw.?

e) Teilweise enthalten die Rechnungen Druckarbeiten. Welche Druckereien haben die Aufträge ausgeführt und sind die Kosten/Rechnungen der Druckereien bei den Abrechnungen durch Lebensform als Anlage zur Rechnung mitgeliefert?

f) „Eine Übersicht der Aufträge über 1.000 Euro erhalten Sie über die jeweiligen Quartalsberichte, die im RIM abrufbar sind.“ (siehe Antwortschreiben vom 21.12.2017 Seite 4 oben) Die Quartalsberichte an den Magistrat sind nicht vollständig

- Beispiel: Von fünf Rechnungen vom 14.12.2016 (Re.-Nrn. 2016/404261 bis 2016/404265), die am 20.12.2016 gebucht wurden, war nur der Auftrag vom 29.09.2016 zu RE.-Nr. 2016/404263 (15.113 Euro) in der Quartalsübersicht IV/2016 aufgeführt.

Die Aufträge zu RE.-Nrn.

2016/404261 vom 11.08.2016 über 9.520 Euro (Webseite)

2016/404262 vom 29.09.2016 über 3.332 Euro (Text Webseite)

2016/404264 vom 18.08.2016 über 2.975 Euro (CD/CD-Handbuch) und
2016/404265 vom 14.07.2016 über 3.689 Euro (Bilderstellung) fehlen in der Quartalsübersicht. Warum sind die Aufträge nicht aufgeführt?

g) Gibt es bei der Erstellung der Website und Broschüren weitere Autoren außer Lebensform? Wenn ja, welche und welche Kosten sind für diese entstanden?

3. Weitere Fragen:

a) Wie hoch sind die Gesamtkosten für die neue (aktuelle) Internetseite einschließlich der Kosten für die Agentur LeFlow (Michelstadt) (Alte Internet Seite – nie veröffentlicht)?

b) War die Agentur Lebensform an der Organisation der Sonderausstellungen Elfenbeinmuseum beteiligt? Falls ja, wie hoch sind die Kosten und sind diese in den von Ihnen mitgeteilten Gesamtkosten (rund 500.000 Euro) enthalten?

c) Hat die Agentur Lebensform ein Konzept für den Treppenweg erstellt? Falls ja bitte die Kosten angeben, die entstanden sind. Auch hier die Frage, ob diese Summe in den mitgeteilten Gesamtkosten von rund 500.000 Euro enthalten ist.

d) Wurde das im CD-Handbuch beschriebene Layout bei den Weihnachtsthemen in den Jahren 2016 und 2017 umgesetzt? Wenn nein, warum nicht?

e) In der Magistratssitzung vom 30.03.2015 wurde die Erstellung eines einheitlichen CI und CD in einem Pitching-Verfahren diskutiert. Der Magistrat zeigte sich skeptisch, ob die Kosten für eine so weitgehende und fachlich fundierte Beratungsleistung für die Größenordnung unserer Stadt angemessen ist.

Vereinbarte Wiedervorlage im Magistrat erfolgte nicht

Es wurde vereinbart, zunächst mit dem Magistrat und zuständigen Mitarbeitern eine Bestandsaufnahme und Zielbestimmung vorzunehmen.

Warum erfolgte anschließend keine Wiedervorlage im Magistrat um den Agenturpitch zur CI/CD-Erstellung zu initiieren?

Aufgrund der hohen Anzahl an Nachfrage bzw. Punkten würden wir die Fragen gerne bis 23.02.2018 beantwortet wissen. <