Spuren rechten Terrors in Hessen nachverfolgt
LAMPERTHEIM. - In den vergangenen Jahren geriet Hessen immer wieder in die Schlagzeilen rechter Gewalt. Dabei ist das Bundesland in der Vergangenheit nicht als rechte Hochburg in der öffentlichen Wahrnehmung in Erscheinung getreten.
Um dies besser einordnen zu können, haben die beiden studierten Politikwissenschaftler Yvonne Weyrauch und Sascha Schmidt die Geschichte rechten Terrors in Hessen nach 1945 aufgearbeitet, der sich ihrer Meinung nach wie ein roter Faden durch die Geschichte des Bundeslandes zieht.
Auf Einladung des Lampertheimer Ortsverbandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) stellten sie die Erkenntnisse ihres Buches „Rechter Terror in Hessen – Geschichte. Akteure. Orte“ vor, das in diesem Frühjahr erschienen ist.
Mehr als zwanzig Gäste folgten ihren Ausführungen im Nebenraum der Biedensandhalle. Die Veranstaltung war durch das Förderprogramm „Demokratie Leben“ im Rahmen der lokalen Partnerschaft für Demokratie in Lampertheim ermöglicht worden.
Zu Beginn ihres Vortrags wiesen die Autoren darauf hin, dass eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema erst mit der Aufdeckung der NSU-Mordserie einsetzte.
Damals sei das Erstaunen noch groß gewesen. Im Zuge ihrer Recherchen konnten die beiden Autoren drei Hochphasen rechten Terrors in Hessen ausmachen, wobei die letzte ihrer Meinung nach immer noch andauert.
Dabei stellten sie im Laufe der Zeit deutliche Veränderungen fest: Dominierte in den späten 1970er und frühen 1980er-Jahren noch der klassische Terrorismus in konspirativen Gruppen, nähme Rassismus als Handlungsmotiv in späteren Phasen einen immer größeren Raum ein.
Weniger zielgerichtet organisiert, sondern vielmehr aus dem Mob heraus wurden in den frühen 1990er-Jahren Brandanschläge auf Unterkünfte von Geflüchteten ausgeübt. Im Januar 1992 stand auch ein Gebäude in der Lampertheimer Ernst-Ludwig-Straße in Flammen, wobei eine dreiköpfige, bis heute namenlos gebliebene Familie aus Sri Lanka starb.
Yvonne Weyrauch hierzu: „Die Tat wird von Experten undJournalisten als rassistisch motiviert eingestuft. Auch wenn, wie in vielen anderen Fällen rechtsmotivierter Anschläge, keine Bezüge der Täter zur Neonazi-Szene vorlagen, stellt sich die Frage, wie man darauf kommt, ausgerechnet ein Feuer in einer Unterkunft für Geflüchtete zu legen.
Und das in einer Zeit, in der in der ganzen BRD rechte Gewalttaten an der Tagesordnung waren. Allein für Südhessen sind uns zwischen 1991 und 1994 zehn solcher Brandstiftungen bekannt.“
Die Referenten regten ein Gedenken an die Opfer der Brandstiftung an. „Dabei soll es nicht darum gehen, die damaligen Täter, die ihre Strafe verbüßt haben, rückwirkend anzuklagen oder die Stadt in einem negativen Licht darzustellen.
Ein Gedenken vor Ort wäre ein starkes Zeichen von Empathie gegenüber den Opfern sowie gegen Rassismus und für eine tolerante Stadtgesellschaft“, so Sascha Schmidt.
Seit 2014 steigt die Anzahl der Anschläge wieder stark an. Zu den Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte gesellen sich nun vermehrt auch Umsturz- und Mordversuche.
Dies kulminierte in der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) in seinem eigenen Wohnhaus 2019 und zehn weiterer Personen beim Anschlag in Hanau im Jahr darauf.
Anstelle fester Neonazi-Strukturen träten nun zunehmend neue Tätertypen in Erscheinung, die sich im Internet radikalisieren. Die verübten Anschläge seien mehrheitlich Botschaftstaten, die bei den betroffenen Mitgliedern der Gesellschaft Ängste schüren sollen.
Trotz umstrittener Zahlen der Todesopfer rechter Gewalt könne Hessen nicht als rechte Hochburg gelten, aber nur weil die Situation in anderen Bundesländern noch gravierender sei.
Der Ortsverbandssitzende Marius Gunkel (ver.di) dankte den beiden Referenten für ihren Vortrag und den übrigen Anwesenden für ihre Teilnahme, was den DGB bestärke, auch in Zukunft ähnliche Veranstaltungen durchzuführen.
Bei der anschließenden Diskussion waren auch die Wahlerfolge der AfD in Lampertheim bei der hessischen Landtagswahl vor wenigen Wochen Thema. In Wortbeiträgen äußerten die Teilnehmer diesbezüglich ihre Sorgen und gemachten Erfahrungen.
Die AfD nutze den angestauten Frust und die Zukunftsängste der Menschen zu ihrem Vorteil aus. Vor allem über Social-Media-Kanäle im Internet erziele die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestufte Partei mittlerweile enorme Reichweiten.
Hier seien die Gewerkschaften und alle demokratischen Kräfte gefordert gegenzuhalten. Der ebenfalls der Veranstaltung beiwohnende DGB-Regionssekretär Horst Raupp (Darmstadt) unterstrich: „In ihrem Kern ist die AfD eine aggressiv neoliberale und marktradikale Partei.
Das muss in Zukunft sehr viel deutlicher und sehr klarer betont werden. Sie ist arbeitnehmer- und gewerkschaftsfeindlich. Wer als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer diese Partei wählt, wählt objektiv gegen die eigenen Interessen.“ Gerade AfD-Wählerinnen und Wähler würden am stärksten unter einer möglichen AfD-Politik leiden.