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Richter Lothar Happel hat es nach vierjähriger Wartezeit jetzt eilig

Der angeklagte frühere Landrat des Odenwaldkreises, Dietrich Kübler (71, rechts) mit seinen beiden Verteidigern Andrea Combé und Dr. Maximilian Seyderhelm vor dem Landgericht Darmstadt. Foto: er

Standortmarketing-Affäre: Wegen schwerer Vergabefehler gingen dem Odenwaldkreis Fördermittel von knapp 70.000 Euro verloren – weitere rund 30.000 Euro der ursprünglich bewilligten 137.900 Euro wurden wegen diverser Abrechnungsfehler einbehalten + + + Im erstinstanzlichen Strafverfahren gegen den früheren Landrat Dietrich Kübler war dieser vom Schöffengericht Michelstadt am 20. Dezember 2017 wegen erwiesener Untreue zu einer Haftstrafe von sieben Monaten zur Bewährung und einer Geldstrafe von 25.000 Euro verurteilt worden: jetzt stellte der Richter im Berufungsverfahren die Einstellung gegen Zahlung einer Geldbuße in Aussicht

DARMSTADT / ODENWALDKREIS. - Die zahlreichen Pressevertreter im Zuhörerraum des Darmstädter Landgerichts staunten nicht schlecht beim Auftakt des Strafprozesses gegen den früheren Odenwälder Landrat Dietrich Kübler.

Dieser musste sich im Berufungsverfahren der sogenannten Standortmarketing-Affäre am heutigen Donnerstag vor der 8. Kleinen Strafkammer des Landgerichts unter dem Vorsitzenden Richter Lothar Happel erneut verantworten.

Verfahrenseinstellung gegen 16.000 Euro Geldbuße angeboten

Happel wartete nach knapp drei Stunden mit der Ankündigung eines eiligen Endes des zunächst auf zwölf Verhandlungstage festgesetzten Strafprozesses auf und bot den Beteiligten die Verfahrenseinstellung gegen Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 16.000 Euro an.

Zuvor hatte er im Wechsel mit dem Schöffen Siegmund Piegsa die umfangreiche und detaillierte Urteilsbegründung im erstinstanzlichen Verfahren vorgelesen.

In diesem war Kübler am 20. Dezember 2017 nach zwölf Verhandlungstagen und der Anhörung von rund 30 Zeugen vom Schöffengericht beim Amtsgericht Michelstadt unter dem Vorsitzenden Richter Helmut Schmied zu siebenmonatiger Haft zur Bewährung und 25.000 Euro Geldstrafe wegen erwiesener Untreue zu Lasten des Odenwaldkreises verurteilt worden.

Verfahren ruhte mehr als vier Jahre

Sowohl der Verurteilte als auch die Staatsanwaltschaft nahmen damals zeitnah das Rechtsmittel der Berufung in Anspruch. Seither ruhte das Verfahren. Richter Happel begründete dies zum aktuellen Prozessbeginn mit Arbeitsüberlastung und dem Vorrang von Verfahren, bei denen Angeklagte in Untersuchungshaft sitzen oder Führerscheinverfahren, die zügig abgearbeitet werden müssten.

Damals hatte es das Gericht als erwiesen angesehen, dass Kübler in seiner Funktion als Landrat und Aufsichtsratsvorsitzender der kreiseigenen Tochter Odenwald-Regionalgesellschaft m.b.H. (OREG) sich über alle Warnungen, insbesondere auch mehrfachen Warnungen des Rechtsamts beim Odenwaldkreis, hinweggesetzt hatte, um seiner favorisierten Agentur den Auftrag zukommen zu lassen. 

Er hatte alles unternommen, um einen Großauftrag im Gesamtwert von rund 276.000 Euro seinem Wahlkampfmanager und Nachbarn Johannes Kessel, Inhaber der Erbacher Werbeagentur Lebensform, zu übertragen.

Auftrag trotz unvollständiger Unterlagen und fehlender Preisangaben erhalten

Und dies, obwohl Kessel innerhalb der für alle Bewerber geltenden Frist nur unvollständige Unterlagen eingereicht hatte und später auch auf Aufforderung die fehlenden Preisangaben nicht fristgerecht nachgeliefert hatte.

Alleine deshalb hätte sein Unternehmen von der weiteren Bewerbung aus formalen Gründen ausgeschlossen werden müssen, wurde aber stets weiter vom damaligen Landrat protegiert und dieser hatte ihm später auch telefonisch den Auftrag erteilt, ohne dass der Agenturinhaber Bereitschaft zeigte, den erhaltenen Auftrag schriftlich zu bestätigen.

„Bescheißen darf man nicht, und hier wurde beschissen“, hatte Strafrichter Schmied in seiner Urteilsbegründung 2017 u.a. das Ergebnis der umfangreichen Zeugenbefragung zusammengefasst.

Happel sieht Vorwurf der Untreue fragwürdig

Völlig anders bewertete dessen Kollege Happel zum Prozessauftakt jetzt die Situation und äußerte erhebliche Bedenken, ob Kübler erneut der Untreue schuldig gesprochen werden könne, gleichwohl habe er sich eines Fehlverhaltens im Rahmen eines Vergabeverfahrens schuldig gemacht.

Dem daraufhin von Happel angebotenen „Deal“, das Strafverfahren gegen Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 16.000 Euro einzustellen, mochte sich insbesondere Staatsanwalt Joachim Hauschild nicht gleich anschließen: „Ich gehe nach wie vor davon aus, dass Untreue vorliegt.“

„Dann verhandeln wir erstmal noch ein bisschen weiter“

Gleichwohl signalisierte der Anklagevertreter, wie auch Kübler-Verteidigerin Andrea Combé, diesen Gedanken aufnehmen zu wollen. Hauschild möchte allerdings „noch einige Zeugen hören“, was Lothar Happel zu der lapidaren Äußerung verleitete „dann verhandeln wir erstmal noch ein bisschen weiter“.

Das erfolgte dergestalt, dass am Nachmittag die zuständige Vertreterin der für die Fördermittelvergabe verantwortlichen Wirtschafts- und Strukturbank (WI-Bank), Dagmar Baecker, als Zeugin gehört wurde.

Die Verwaltungsjuristin machte deutlich, wegweisende Entscheidungen könne aufgrund der Fördermittel-Richtlinien, die allen Beteiligten bekannt gegeben würden, nur der Zuwendungsempfänger – im vorliegenden Fall nur die OREG – treffen.

Strukturen und Verwaltungsabläufe zwischen OREG und Odenwaldkreis nicht bekannt

Allerdings schränkte Dagmar Baecker klar ein, sie kenne die internen Strukturen und Verwaltungsabläufe zwischen OREG und dem 100-prozentigen Gesellschafter Odenwaldkreis nicht.

Zum Abschluss des ersten Sitzungstages machte der Vorsitzende Richter erneut den Versuch zur eiligen Prozessbeendigung. Diesmal reduzierte er gar den Einstellungsbetrag auf 12- bis 15.000 Euro ohne Staatsanwalt Hauschild umstimmen zu können.

Zeugen Kessel und Leisentritt werden gehört

Kübler-Verteidigerin Andrea Combé erachtete für ihren Mandanten gar diesen Betrag noch als zu hoch und nannte 10.000 Euro als angemessene Summe aus ihrer Sicht.

Zunächst aber wird der Prozess am kommenden Mittwoch, 19. Januar, mit der Vernehmung des Auftrags-begünstigten Zeugen Johannes Kessel sowie des früheren Leiters des Revisionsamtes beim Odenwaldkreis Uwe Leisentritt fortgesetzt.